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Alltagsgeschichten: Dugrid und Günther

Günther starrte in seine Kaffeetasse, die bereits verdächtig nach dem dritten Aufguss des Tages roch. Draußen tröpfelte der sächsisch-anhaltinische Frühling vor sich hin, eine Melange aus Hoffnung und latentem Nieselregen. Drinnen, in der behaglichen Enge ihres Reihenhauses in Saalfeld, herrschte die vertraute Stille des langjährigen Ehelebens mit Siegrid. Seit nunmehr fünfunddreißig Jahren teilten sie sich Frühstückstisch, Fernsehsofa und die gelegentliche hitzige Debatte über die korrekte Entsorgung von Biomüll.

Plötzlich durchbrach Günther die Stille mit einer feierlichen Räusperung. Siegrid, die gerade in der neuesten Ausgabe der „Gartenfreund“ blätterte, hob leicht irritiert den Blick über ihre Lesebrille.

„Siegrid, meine Liebste“, begann Günther mit einer Theatralik, die in den letzten Jahrzehnten eher selten zum Vorschein gekommen war. „Wir sind nun schon so lange miteinander verbunden, haben Freud und Leid geteilt, die Hochs und Tiefs des Lebens gemeinsam gemeistert…“ Er machte eine dramatische Pause, die Siegrid mit einem ungeduldigen Wippen des Fußes quittierte. „…da habe ich mir gedacht, es wäre an der Zeit für einen besonderen Schritt. Etwas… Intimeres.“

Siegrid legte die Zeitschrift beiseite. „Günther, was hast du denn schon wieder ausgeheckt? Hast du etwa heimlich einen Wellensittich gekauft?“

Günther schüttelte energisch den Kopf. „Nein, nein, nichts dergleichen! Es geht um uns, um unsere Beziehung! Um die sprachliche Ebene unserer tiefen Verbundenheit!“ Er holte tief Luft und verkündete feierlich: „Siegrid, meine Frau, meine Lebensgefährtin… ich werde dich ab sofort… Dugrid nennen.“

Siegrid starrte ihn an, als hätte er gerade verkündet, er wolle ab sofort ausschließlich von Löwenzahnsalat leben. „Dugrid?“, wiederholte sie langsam, als würde sie versuchen, das Wort auf seine Bestandteile zu zerlegen und irgendeinen Sinn darin zu finden. „Wie… wie kommt man denn auf Dugrid?“

Günther strahlte, überzeugt von der Genialität seiner Idee. „Na, denk doch mal nach, meine Süße! ‚Du‘ und ‚Siegrid‘ – Dugrid! Ist das nicht… klangvoll? Spielerisch? Es bricht mit der Förmlichkeit, die sich über die Jahre vielleicht ein wenig eingeschlichen hat! Wir sind doch nicht Herr und Frau Müller aus dem Telefonbuch!“

Siegrid schwieg einen Moment, während in ihrem Kopf die Synapsen fieberhaft arbeiteten. „Günther“, sagte sie schließlich mit einer Ruhe, die nichts Gutes verhieß. „Weißt du eigentlich, dass ‚du‘ im Sächsischen auch ‚euch‘ bedeuten kann?“

Günthers Gesichtsausdruck fror ein. „Äh… nein?“

„Ja“, bestätigte Siegrid genüsslich. „Und ‚Dugrid‘ klingt jetzt ein bisschen so, als würde ich mit mehreren Versionen meiner selbst verheiratet sein. So eine Art polygame Ehe mit meinem eigenen Ich. Findest du das wirklich… intim?“

Günther versuchte, die Situation zu retten. „Aber es ist doch… liebevoll gemeint!“

„Liebevoll wäre es gewesen, wenn du mir einen Strauß meiner Lieblingsrosen mitgebracht hättest“, konterte Siegrid trocken. „Oder wenigstens den verdammten Rasen gemäht hättest, der schon aussieht wie der Urwald hinterm Haus.“

Günther seufzte. „Aber die sprachliche Innovation! Die…“

„Die klingt wie ein missglückter Zungenbrecher“, unterbrach Siegrid. „Hör mal, Günther. Ich bin seit fünfunddreißig Jahren Siegrid. Mein Name ist nicht ‚Du-irgendwas‘. Er ist Siegrid. Und wenn du wirklich etwas an unserer Beziehung ändern willst, dann fang damit an, dich daran zu erinnern, wann mein Geburtstag ist – und nicht damit, meinen Namen zu verstümmeln.“

Günther blickte betrübt auf seine Kaffeetasse. Die revolutionäre sprachliche Intimität war auf dem rauen Pflaster der sächsischen Realität unsanft gelandet.

Am Abend saßen sie schweigend vor dem Fernseher. Plötzlich flüsterte Günther, ohne sie anzusehen: „Na, meine liebe… Sie-euch-grid?“

Siegrid warf ihm einen Blick zu, der Blitze hätte zünden können. „Günther“, knurrte sie leise. „Wenn du noch einmal versuchst, meinen Namen in irgendeiner Form zu verbiegen, werde ich dich ab sofort ‚Er-der-immer-seine-Socken-neben-den-Wäschekorb-wirft‘ nennen.“

Günther schluckte. Manchmal, dachte er, war die altmodische Förmlichkeit doch gar nicht so übel. Und manche sprachlichen Revolutionen führten eben doch nur zu Donnerwetter im trauten Heim. Er beschloss, Siegrid weiterhin Siegrid zu nennen. Es schien die sicherere Option zu sein – für alle Beteiligten, inklusive der Socken.