Ach, die lieb gewonnene Mär vom 22-jährigen Fastfood-Connaisseur im gemütlichen Jogginghosen-Outfit, der aus den Tiefen seines einstigen Kinderzimmers heraus die digitale Welt mit seinen Weisheiten (oder was dafür gehalten wird) beglückt! Ein Bild der Authentizität, der direkten Verbindung zum Fan, quasi der digitale Nachbar von nebenan. Man möchte ihm fast ein paar ungesunde Snacks und eine helfende Hand bei der Zimmeraufräumung anbieten.
Doch Vorsicht, liebe Internet-Jünger! Wer einen allzu naiven Blick hinter die glitzernde Fassade der Webvideo-Welt wirft, könnte eine überraschende Entdeckung machen. Denn oft ist der vermeintliche Einzelkämpfer im dunklen Kämmerlein in Wahrheit nur eine Marionette an den Fäden eines komplexen Firmengeflechts. Und das Pikante daran: Die Fäden halten nicht etwa seine eigenen, vielleicht noch etwas ungeschickten Hände, sondern die einer kleinen, aber offenbar umtriebigen Gruppe von Geschäftsleuten.

Da sitzt er also, unser 22-jähriger Held der ungebügelten Shirts und der fragwürdigen Tischmanieren, und generiert Content, der scheinbar Gold wert ist. Aber das Gold fließt nicht nur in seine eigene, vermutlich mit Energy-Drink-Dosen gepflasterte Tasche. Nein, findige Geschäftemacher haben längst das Potenzial dieses – sagen wir mal – „Talents“ erkannt und ein beeindruckendes Netzwerk an Firmen und Beteiligungen aufgebaut. Und der Clou: An diesem lukrativen Konstrukt ist der Influencer selbst oft gar nicht maßgeblich beteiligt. Er liefert die „Ware“ – seine mehr oder weniger unterhaltsame Online-Präsenz – während andere im Hintergrund die Strippen ziehen und die Kasse klingeln lassen.
Diese findigen Firmen „betreuen“ nicht selten gleich eine ganze Riege von mehr oder weniger talentierten Bildschirmgesichtern. Eine Art digitale Talentagentur 2.0, nur dass hier nicht schauspielerisches Können, sondern die Fähigkeit, möglichst viele Klicks zu generieren, im Vordergrund steht. Und das Geschäftsmodell scheint aufzugehen wie ein Hefeteig im Hochsommer. Offenbar wirft dieses Influencer-Dasein so exorbitant viel Geld ab, dass nicht nur der Protagonist selbst ein Auskommen findet (man munkelt ja von gelegentlichen Upgrade-Mahlzeiten auf Premium-Fastfood), sondern eben auch jene kleine Gruppe von Geschäftsleuten zu beachtlichem Reichtum gelangt.
Es ist schon ein bisschen wie im Zirkus: Der Clown in der Manege vollführt seine Späße, während der Zirkusdirektor im Hintergrund die Einnahmen zählt. Nur dass der Clown hier eben 22 ist, eine Vorliebe für fettige Snacks hat und seine Manege ein schlecht beleuchtetes Zimmer ist. Die eigentliche Show findet hinter den Kulissen statt, wo clevere Strategen aus der scheinbaren Unprofessionalität des „Nerds“ ein profitables Unternehmen zimmern. Man muss ihnen lassen: Sie haben das Geschäftsmodell „Authentizität verkaufen, ohne sie selbst zu besitzen“ auf ein neues Level gehoben. Erstaunlich, in der Tat. Und irgendwie auch ein bisschen… nun ja… erstaunlich.